Unsere Geburt
Unser Kind wurde geboren
und ich auch irgendwie
Und viel Lautes
wurde zu wundersamer Stille
Ich kenne es ja schon, nachts um 2 werd ich wach, muss aufs Klo und dann ist es erstmal vorbei mit dem Schlaf. So geht das jetzt schon länger. Am 21.11. (38+4 SSW) beginnt alles genau hier. Ich werde wach, natürlich wieder um 2, muss aufs Klo, bleibe aber noch liegen, und dann spüre ich plötzlich eine Flüssigkeit aus mir herauslaufen, die ganz gewiss kein Pipi ist.
Es hört auch so schnell nicht auf, darum galoppiert mein Bewusstsein nun in Sekunden vom dämmrigen Schlummer in einen Zustand höchster Wachheit, mein Herz schnellt mir zum Hals, ich springe auf, laufe ins Bad und entlasse den Rest Fruchtwasser ins Klo. Mein Puls geht laut und schnell während ich da sitze und tausend Gedanken rennen mir durch den Kopf.
"Was, jetzt?"
"Wie jetzt?"
"Wie spät ist es?" (ich hab erst danach auf die Uhr geschaut)
"Wie lange muss ich jetzt auf was genau warten, bevor ich die Hebamme anrufe oder meinen Mann wecke?"
"Müsste ich jetzt nicht Wehen haben?"
Ich hatte bislang in der Schwangerschaft nur 2mal nachts leichte Anzeichen von Wehen...
Ich stehe auf und laufe im Bad hin und her und bin am Zittern. Jetzt ist es also soweit. Ich weiß mit der Situation irgendwie nichts anzufangen.
Die Tage vorher hatte ich schon überhaupt keine Lust mehr aufs Schwangersein. Ich hab tausend Sachen gemacht, die ich vor der Geburt gern erledigt haben wollte und am 20. noch stundenlang den Drachen fürs Baby fertig gehäkelt, der sollte nämlich auf jeden Fall fertig werden.
Und ich habe es so ersehnt, das Ende der Schwangerschaft!
Und jetzt ist es plötzlich da... wirklich? Ich fühle mich überrumpelt.
Nach einer halben Stunde kommen gaaanz leichte Wehen, dafür alle 5 Minuten. Nach ca. 2 Stunden im Bad mit mehreren Fruchtwasser-Klogängen denke ich dann, ich muss irgendwas anderes tun und räume in der Küche auf, spüle Geschirr und trockne es ab, kehre den Boden und wische alle Oberflächen. Ich denke auch kurz an Fenster putzen.
Dann entscheide ich mich, jetzt mal meinen Mann zu wecken. Er fragt, als ich ins Schlafzimmer komme, ob alles ok wäre, weil ich so lange weg gewesen sei, ich sage ihm, er wird heute Papa. Nach meiner Erklärung schwingt er sich aus dem Bett, kocht sich erstmal Kaffee und dann räumen wir ein bisschen im Zimmer um, denn da ist noch gar nichts vorbereitet. Noch keine Malerfolie gekauft, mist! Also Müllsäcke zerschneiden und auf den Fußboden legen, darüber zwei Decken. Mein Mann hebt das kleine Schränkchen auf den kleinen Tisch, damit ich was zum Abstützen im Stehen habe. Um kurz nach 5 rufe ich dann meine Hebamme an.
Ich glaube hier hört auch endlich dieser ewige Ohrwurm auf, den ich seit dem Aufwachen habe - The Dark*ness: Stuck in a Rut, so ein scheiß!
Die Hebamme kommt eine Stunde später und tastet den Muttermund, komplett zu. Na toll.
Ich darf mich in Seitenlage legen. Irgendwie liegt der Kopf nicht gut, irgendwas mit Pfeilnaht schräg. Wo denn die Füßchen zu spüren seien - keine Ahnung! Ich versteh gar nichts. Die Wehen werden seltener.
Mein Mann und die Hebamme sitzen da auf Stühlen und unterhalten sich, ich berichte, wann eine Wehe kommt. Die beiden reden über Gott und die Welt und ich beteilige mich auch ein bisschen am Gespräch. Irgendwie ist es amüsant, zuzuhören.
Dann lege ich mich auf die linke Seite und schon verändert sich etwas. Das ist auch die Seite, auf der ich meistens Nachts lag. Die Wehen werden wieder häufiger und spürbarer.
Um 9 Uhr hat sich unser Kind nun angeblich besser hingedreht, Muttermund 1 cm auf, ich stell mich vor unseren Schränkchenturm, unter den Wehen, die sich jetzt schon viel intensiver anfühlen, werden aber die Knie weich und ich zittere, darum wechsle in den Vierfüßler und stütz mich auf den Wäschekorb, veratme die Wehen. Die Atmung aus dem Geburtsvorbereitungskurs funktioniert wirklich super. Ich habe die vorher immer versucht zu üben, aber musste immer dabei gähnen, darum hatte ich es einfach gelassen. Ich wusste ja, ich kann ganz gut tief in den Bauch atmen und langsam ausatmen auch ohne mich extra konzentrieren zu müssen.
Zwischendurch muss ich aufs Klo, was echt unangenehm ist, Ich halte mich unterwegs überall fest, wo ich hingreifen kann. Und ich kann mich direkt nach dem Aufstehen vom Klo schonwieder hinsetzen, mein Körper will sich komplett entleeren.
10 Uhr Muttermund 1-2cm, ich fühle mich ziemlich schwach und muss anfangen, unter den Wehen lauter zu werden. Die Hebamme fragt, ob ich Musik hören will - nein bloß nicht! Und was ist mit einem Bad? - Au ja! Mein Mann lässt ein Bad ein.
In der Badewanne, die echt schön warm ist - toll! - Seitenlage abwechselnd mit Vierfüßler, sind die Wehenpausen echt klasse, ich fühl mich jedes Mal wie nach einer langen Reise und kann sehr gut loslassen. Ich unterhalte mich auch wieder mit meinem Mann und der Hebamme. Sie hatte mir aber auch ein leichtes Entspannungsmittel in den A*s*h gespritzt. Die beiden reden übrigens immernoch über alles Mögliche, unsere Krankenkasse z.B. Mir macht das alles nichts aus. Wenn ich entspannen kann, gebe ich immermal einen Kommentar dazu ab. Ob ich was essen will, eine Banane? - mh ja gute Idee! Ich krieg ein paar Stückchen Banane direkt vor den Mund gehalten und fühle mich in meinem wohlig warmen Bad königlich bewirtet.
Die Wehen hingegen sind nun echt heftig und ich kralle mich an den Badewannenrand und schreie und weine gleichzeitig. Mein Mann hält mir dann noch ein Stück Schokolade hin, sehr geil! Ich kann nicht kauen wegen der nächsten Wehe. Irgendwie komisch, es tut weh und gleichzeitig schmeckt es nach Schokolade. Ich erwähne das, was zu viel Gelächter führt.
Dann muss ich wieder schreien und gleichzeitig lachen, meine Hebamme sagt, lach es raus, ich sage, ich lache über die Geräusche, die ich mache. Wir lachen ziemlich viel. Zwischendurch weine ich. Und ich gebe mich richtig dem Schreien hin. Ich kann inzwischen mehrere Schreiarten differenzieren,
Das Jammerschreien
Das verzweifelte Schreien
Das Löwengebrüll (das ist das Beste! Da kriegt man Kraft vom Schreien und verliert keine)
Das Marge Simpson Grummelgeschrei
Das Wimmern
Das Heulen
Das Lachgeschrei
Die Lokomotive
Übrigens, im Nachhinein find ich es echt klasse, mal einen Anlass gehabt zu haben, einfach lauthals und hemmungslos loszuschreien ohne sich dabei einen Kopf zu machen, ob es jemanden stört!!!!!
Um 11:40 Uhr steige ich aus der Wanne, das Wasser ist mir jetzt zu kalt. Wir gehen wieder ins Schlafzimmer nebenan, ich im Bademantel, schön kuschelig. Ich bin erschöpft und will in Seitenlage liegen.
11:50 Uhr Muttermund 7-8cm.
11:55 Uhr Muttermund 9 cm.
12 Uhr Muttermund vollständig eröffnet, ich gehe nochmal in den Vierfüßler, um besser pressen zu können, halte mich am Stuhl fest, drücke den Kopf auf das Stuhlkissen und klammere mich an die Lehne, mein Mann muss den Stuhl halten, ich weiß nicht mehr, wie ich noch atmen und schreien soll, um das auszuhalten, was ich spüre. Es gibt nur eine Richtung, in die das Ganze jetzt gehen kann. Ich kann nicht fliehen. Dieser Moment macht mich wahnsinnig, ich bin ihm ausgeliefert. Ich mobilisiere alles, was ich an Kraft habe und presse, zwischendurch entdecke ich noch "Das schrille Schreien".
Der Kopf ist schon da und um 12:20 Uhr wird unser Sohn mit einem unfassbaren Gefühl aus mir heraus geboren. Ich bin vollkommen überwältigt, will mich bewegen, die Hebamme sagt, nein halt! Und wickelt die Nabelschnur vom Hals ab (sie war einmal herumgelegt). Dann klettere ich nach hinten über unser Baby, um vor ihm zu knien und ihn anzusehen. Dass es ein Junge ist, sehe ich erst jetzt, ich bin überrascht! Er sieht komplett anders aus als ich es mir vorgestellt hätte. Ich staune ihn an. Mein Mann sitzt neben mir und staunt ihn ebenfalls an. Unser Sohn macht ein paar zarte Geräusche. Kein Weinen.
Ich fühl mich wie in einer Trance, kann noch nicht aufwachen. Ich berühre ihn. Die pulsierende Nabelschnur. Es ist wie im Traum. Ich würde gerne etwas zu ihm sagen, aber ich schweige. Ich bin überwältigt und es ist plötzlich ganz still in mir.
Die Hebamme klemmt dann die auspulsierte Nabelschnur ab, Papa schneidet durch. Wir hatten vor Wochen oder Monaten besprochen, dass wir zuerst die Plazenta gebären lassen wollen, bevor die Nabelschnur durchgetrennt wird. Das scheint die Hebamme vergessen zu haben. Ich hab keine Energie und auch kein Interesse, sie daran zu erinnern. Mein Mann tut es auch nicht. (Im Nachhinein denke ich, wenn mit einem unter/nach der Geburt sonstwas im KH gemacht wird, dann ist es vlt ähnlich. Ich konnte in dem Moment einfach nicht eingreifen. Aber ich leide jetzt auch nicht darunter, es ist ok so wie es war, es kam in der Situation so und ich wollte sie nicht mehr korrigieren, sondern einfach weiter darin schwimmen).
12:40 Uhr kommt die Plazenta, ich muss einmal mitpressen, weswegen ich am Liebsten heulen würde, ich will einfach nicht mehr pressen! Aber da ist sie schon, und vollständig. Ich sehe sie nur aus dem Augenwinkel.
Papa bekommt unser Baby auf den Arm, ich werde auf Verletzungen untersucht, Damm intakt, 2 Schamlippenrisse, die Hebamme lässt mir die Wahl, ich entscheide mich gegen das Nähen.
Dann bekomme ich unser Kind auf den Bauch gelegt. Unglaublich... Was denke ich, was fühle ich? Ich weiß nichts, ich bin niemand und Alles, und von Allem ein Teil liegt hier auf mir.
Wir probieren das Anlegen, rechts klappt nicht, links schon (eingezogene Brustwarzen). An diesen Moment konnte ich mich auf die Nachfrage der anderen Hebamme (die ersatzweise im Wochenbett kam), wie denn das erste Anlegen war, zuerst überhaupt nicht erinnern. Ich lese es nur im Geburtsbericht der Geburtshebamme und habe eine sehr schummrige Erinnerung daran.
Mein Mann bringt mir einen Plazentasmoothie mit Früchten, wow tut das gut. Es schmeckt nur nach Frucht. Geschmack ist etwas Unglaubliches.
Ein Stück der Plazenta wird in ein Gefäß für die Herstellung von Globuli getan, der Rest ist im Gefrierfach gelandet, hat mir mein Mann später erzählt. Ich habe sie mir immernoch nicht angesehen.
Aber in dem Moment ist das alles nicht wichtig. Ich fühle mich wie ein anderer Mensch, einer, der ich vorher nicht war. Und da liegt dieses kleine Wesen auf mir, das vorher in mir war.
Ein Wunder!
3760g
57cm
ganz wenig Käseschmiere