rocketgirl

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strophenlilly
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rocketgirl

Beitragvon strophenlilly » Di 8. Mai 2012, 12:45

Tag fünfzehn unserer unendlichen Schwangerschaftsgeschichte.
Weihnachten ist dann um, mal ganz abgesehen vom "Termin" und ich brüte und brüte... und bald platze ich, da bin ich mir sicher.
Aber egal - ich habe mich jetzt abgefunden mit dem Gedanken, dass das Kind eben nächstes Jahr kommt. Oder dass es sich doch um einen Elefanten handelt, die brauchen ja bekanntlich etwas länger. Meiner ungeduldigen Bäckersfrau winke ich "bis morgen!". Meine Mutter schicke ich nach Hause, mit dem Zug, 200km. Abends zieht´s im Rücken. Weißte, Kind, verarschen kann ich mich allein!

Tag sechzehn. Zwei Uhr morgens.
Autsch! Muss sofort aufstehen. Das tut weh. Wehe!! Warte noch ein paar ab und lasse sofort Wasser in die Wanne. Wehentest - jetzt oder nie!
Gott sei dank hat der Herzmann an der Heizung rumgefummelt und es ist warm und heißes Wasser vorhanden. Rein in die Wanne... ich bin so müde. Aber auch so gespannt jetzt. Und das wohlige Wasser... ahhhh schlafen. Argh. Nein, Wehe, nicht schlafen. Liege eine Stunde in meiner Wanne rum und wehe, gedämpft durch das Wasser, aber gut da. Schiele doch mal kurz auf die Uhr meines Telefons. Das bleibt! Heute, am letzten Tag des Jahres, wird unser Kind geboren - jetzt weiß ich es ganz sicher. Lehne mich noch mal kurz zurück, genieße das Wasser. Und jetzt raus hier, mir ist das alles bisschen zu eng, nicht geerdet genug.

Irgendwas um vier Uhr morgens.
Bin ins Wohnzimmer gewandert, hab mir meine "Gebärsachen" angezogen. Das war mir wichtig, damals im KH hatte ich mich so unwohl gefühlt in meinen Sachen. Die Wehen kommen aller 6 Minuten ungefähr und verlangen gutes Veratmen. Herzmann und Herzkind schlafen noch selig. Rufe die Mutter an, sie darf die 200km Retoure.

Fünf Uhr morgens.
Versuche auf der Couch, die ich noch mit Malerfolie und Handtuch schütze, zwischendrin bisschen zu dösen. Anfangs springe ich noch bei jeder Wehe auf, dann gelingt es mir doch ein paar Minuten einzuschlafen.

Gegen sechs Uhr morgens.
Liegen wird wieder unmöglich. Ich muss aufstehen, zum fünfhundertsten mal seit dem Aufwachen zur Toilette wandern. Der Herzmann wird wach und traut seinen Augen nicht. Warum ist sie denn wach? - Ja warum denn? Achtung, Achtung, Sie bekommen ein Baby!
Herrlich, er ist gleich ganz aufgeregt, aber lässt sich gar nichts anmerken. Wie ein Kind am Weihnachtsabend. Ich weiß sofort wieder einmal, das ist der richtige Herzmann.
Kurz darauf erwacht das Herzkind und ich ziehe es vor, während der Wehe kurz auf Abstand zu gehen. Langsam warte ich nun doch auf meine Mutter, damit ich den Herzmann ganz für mich und mein Herzkind noch eine verlässliche Lieblingsperson um sich weiß.

Halb acht morgens.
Während ich eine Wehe am Fenster veratme, sehe ich meine Mutter ankommen. Endlich! Ich hatte es tatsächlich noch geschafft, ein Frühstück zu zaubern, das wir jetzt zusammen essen können. Ich muss allerdings alle 3 Minuten aufstehen um meine Wehen zu veratmen. Ich will einfach nur stehen währenddessen. Ich spüre sie mehr im Unterbauch als im Rücken, das macht Sitzen unmöglich. Dazwischen sind die Wehenpausen - da ist es, als ob nichts wäre. Bin völlig perplex darüber - aus dem KH kannte ich das freilich nicht.
Herzkind macht große Augen und ich sag ihr nun, was los ist.

Ich schwanke noch ein bisschen. Unter all die Zuversicht, das eigentliche Wissen darum, das da die Geburt unseres Kindes im Gange ist, mischt sich immer wieder eine Art Angst. Was ist, wenn es doch noch nicht so richtig losgeht? Was ist,wenn sich wieder nichts bewegt - wie damals? Es ist aber mehr eine konstruktive Angst, eine Art Ansporn, vielleicht jene Art von Bockigkeit, die mich schon manchmal vorwärts gebracht hat.
Ich hab das Gefühl, ich brauch die Hebamme jetzt doch hier. Es ist NICHT so wie damals. Hier passiert was, mein Körper arbeitet.
Mein Mann ruft sie an, sie freut sich und fährt los.

Halb neun morgens.
Die Amme (vom Herzkind so genannt) kommt! Na, das ist erstmal eine Freude für´s Kind. Ich wehe sie gleich im Flur voll. Sie hört gleich mal Herztöne, alles bestens. Amme packt ihren Kram aus, Herzmann baut eine Gebärstation aus Matratze, mit Folie und Laken, Mutter räumt Frühstück weg, Herzkind wuselt und wuselt und zwischendrin ich. Wehe umher, kreise um unseren Esstisch wie ein Hai um seine Beute. Von mir aus können jetzt alle mal fertig werden mit ihrem Kram. Ich brauche jetzt den Herzmann und ich will, dass wieder Ruhe einkehrt.

Zwischendurch bin ich mit dem Herzkind allein im Wohnzimmer, während einer Wehe, die ich jetzt auch schon geräuschhaft kundtue. Ich knie mir nacktem Bauch vor der Couch. Das Herzkind schnappt sich der Amme Hörrohr und hört während der Wehe an meinem Bauch. Dieser Moment ist so kostbar! Das vergesse ich hoffentlich niemals.

Halb zehn morgens.
Herzkind und Mutter verlassen das Haus. Ich bin froh darum, wirklich Ruhe zu haben. Wehen alle 2 bis 3 Minuten, ich werde lauter. Stehen, immer wieder stehen. Herzmann hält mir eine Wärmflasche in den Rücken, der jetzt auch mitgeweht wird. Der Druck steigt spürbar, aber noch zieht nichts nach unten.

Halb elf morgens.
Versuch, zwischen den Wehen kurz im Liegen auf der Seite auszuruhen. Pustekuchen, das wird nichts, im Liegen tut einfach nur alles hundertmal mehr weh. Wieder hoch also. Wenigstens im Sitzen kurz ausruhen - vor der Wehe muss ich es schaffen, aufzustehen. Schaffe ich es nicht, schmerzt die Wehe ganz seltsam und währenddessen aufzustehen ist ein riesiger Kraftakt. Herzmann ist mein Halteseil, wusste gar nicht, dass er so stark sein kann.

Elf Uhr.
Amme will nach dem Kopf fühlen. Heimlich will ich jetzt doch mal was in cm darüber wissen, wie weit die Sache nun vorangekommen ist. Heimlich habe ich auch noch immer ein winziges bisschen meiner Angst. Ich habe keine Blutung, nix... gebe also der Amme mein OK.
Kopf tief im Becken. Muttermund 7 bis 8cm. Herzmann sagt: "Was... AUF???" Wir lachen. Und ich bin auch überrascht davon, wie viel ich schon gearbeitet habe. Und froh. Und glücklich.

Viertel nach elf.
Scheinbar ein Wahnsinns-Schub. Die Wehen legen zu, mein Becken sprengt´s in alle erdenklichen Richtungen auf. Im minutentakt sing-brülle ich ein kehliges "Aaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhh" während ich mich mit ausgestreckten Armen an den Herzmann festkralle und in die tiefe Hocke fallen lassen. Das ist die einzig mögliche Position für mich. Der Herzmann hält mich, mein Gott, er kann wirklich noch stärker sein.
Herzkind und Mutter kommen zurück. Wir haben uns ziemlich verschätzt... dachte nicht, dass die Geburt nun schon so weit vorangeschritten sein würde. Hatte gehofft, das Herzkind könnte noch zu Mittag essen und dann wieder raus zum Mittagsschlaf - statt dessen kommt sie müde heim in eine für sie sehr befremdliche Situation. Ich mit meinem Hirschröhren an den Herzmann gehängt und einfach nicht ihre gewohnten 300% Aufmerksamkeit... ausgerechnet jetzt, wo sie müde ist. Während einer Wehe kommt sie zu mir, weint, will von mir gehalten werden. Das geht einfach gar nicht und ohne zu sprechen sehe ich meine Mutter an. Sie nimmt das Kind. Versucht noch es kurz ins Kinderzimmer zu lotsen, Herzkind büchst aus, wieder zurück, wieder weinen. Sie zieht es schnell an, raus mit den beiden.
Viertel vor zwölf.
Mir ist das mehr als recht, die Wehen erreichen jetzt ihren Höhepunkt, mir ist alles andere egal. Der Druck nach unten wird enorm, ich fühle mich wie ein einziger Schmerz - das muss der Übergang sein. Ich knie jetzt vor der Couch, weil ich sonst wahrscheinlich auch den Herzmann kaputt machen würde... Zwischendurch immer wieder tiefes Atmen zum Kind, auch wenn es zwischen diesen Gewaltwehen nur noch mikroskopische Pausen gibt.
Elf Uhr achtundvierzig.
Die Amme schickt mich nochmal zur Toilette. Bist du völlig bekloppt, du blöde Kuh?! Wieviel Meter sind das? Zehn? Fünfzehn?? Dreihundert??? Sie kann scheinbar Gedanken lesen, die alte Hexe - und spricht: das spart die jetzt 10 Wehen. Ich laufe los. Oder wie auch immer man das nennen möchte, wie ich mich zur Toilette schleppe, aus dem Bauch heraus AAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHH brüllend, an den Herzmann hängend, Schrittchen machend.

Zwölf Uhr fünf.
Ich bin tatsächlich auf der Toilette angekommen. Setze mich drauf. Passiert natürlich nichts. Außer dass ich denke, das Kind kommt jetzt in diesem winzigen Bad zur Welt. Der Kopf ist sichtbar. Also wieder zurück das ganze. Auf halbem Weg klingelt die zweite Hebamme, wir lassen die Tür einfach offen stehen - damit die anderen Hausbewohner auch richtig was davon haben. (Wie ich später erfahre haben sie das aber sowieso, weil man mich bei geschlossenen Fenstern über den ganzen Hof gehört hat. Es muss ein riesen Happening gewesen sein ;-) !)

Zwölf Uhr zehn.
Ich bin wieder vor der Couch angekommen, gehe wieder auf die Knie. Links und rechts aufgestützt auf Herzmann und Amme. Ich kann nichts mehr aufhalten, das Kind kommt jetzt mit Macht. Endlich! Das Schmerzgefühl schaltet komplett um, es ist wirklich eine Befreiung. Ich lasse die Hand jetzt da - wo ich immer schon mal verstohlen gefühlt habe, ist jetzt ein Kopf. Dieses herrliche Gefühl, so einen Kindskopf anzufassen, als erste zum ersten mal... Ich denke noch kurz an unsere Thermoskanne mit Kaffe, aber die Amme versichert felsenfest: da reißt nichts. Also schiebe ich los. Kein Powerpressen, wie damals, kein am Ende der Kräfte sein und Aufbäumen. Ich habe das Gefühl, dieses Kind gebiert sich gerade ganz allein und ich zeige ihm nur noch meinen guten Willen.

Zwölf Uhr elf.
Ein Ohr! Und der Kopf ist da. Zusammen mit Fruchtwasser und Mekonium, das muss wohl gerade erst passiert sein.
Zwölf Uhr zwölf.
Und dann ist da auf einmal noch ein Herzkind unter mir! Ein Mädchen. Ein Wunder. Liebe. Nur Liebe. Ganze, winziger Körper gewordene Liebe liegt da vor uns. Die Sonne bricht durch das Fenster. Schöner kann der Himmel nicht sein.

Zwölf Uhr siebzehn.
Herzkind nuckelt an der Brust, zwischen uns liegend, ganz ruhig und vollkommen.

Zwölf Uhr vierzig.
Plazenta wird geboren, wieder auf Knien. Keine Überalterungserscheinungen, vollständig und ebenfalls vollkommen mit unanständig langer Nabelschnur - deshalb konntest du immer so wild turnen, Kind.

Dreizehn Uhr dreißig.
Herzmann nabelt ab. Damm wird beschaut, tatsächlich nichts passiert. Gehe duschen, zur Toilette, ziehe mich um, esse Nudeln. Die Ammen wuseln, räumen alles auf, haben uns Essen gekocht, beziehen die Matratze neu, zaubern, die beiden guten Feen - Wahnsinn, damit habe ich nicht gerechnet.

Vierzehn Uhr zehn.
Nunmehr große Schwester kehrt zurück. Jetzt sind wir komplett. Und die Reise beginnt wieder von vorn.

strophenlilly
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Re: rocketgirl

Beitragvon strophenlilly » Di 8. Mai 2012, 12:49

Mein waches und gespanntes Hausgeburtskindchen!!

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die eule
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Re: rocketgirl

Beitragvon die eule » Di 8. Mai 2012, 12:58

was für ein herrlicher bericht, ich musste echt immer wieder laut lachen! und die fotos sind wunderwunderschöööön :herzen: :rosabrille:
*7/2010* die Große, HG
*6/2014* der Wilde, AG
*11/2017* die Verrückte, HG

Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.
- George Bernard Shaw -

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Re: rocketgirl

Beitragvon strophenlilly » Di 8. Mai 2012, 13:00

was für ein herrlicher bericht, ich musste echt immer wieder laut lachen! und die fotos sind wunderwunderschöööön :herzen: :rosabrille:
Dankeschön!
Ich hab ja jetzt auch mal eure Bilder bewundert und auf der Seite deines Mannes gestöbert... fein, fein!! (Und übrigens auch: so ein hübsches Brautkleid ;-) )

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brummel
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Re: rocketgirl

Beitragvon brummel » Di 8. Mai 2012, 13:10

Du weißt ja: ich bin dein Fan :rosabrille:
2 Hausgeburtskinder

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Re: rocketgirl

Beitragvon strophenlilly » Di 8. Mai 2012, 13:12

Du weißt ja: ich bin dein Fan :rosabrille:
:dudu:

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niamh
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Re: rocketgirl

Beitragvon niamh » Di 8. Mai 2012, 13:20

Boah, wie toll!! Danke für diesen Schönen Bericht!!
Sternchen (9.SSW) 08/2002
mein Großer 06/2003 (KS)
die Maus 03/2007 (HG)
Stern 08/2012 (KH, 36. SSW, *+ 08/2012)
Unser Augenstern 10/2013 (AG im Pool)



Man sieht die Sonne untergehen und erschrickt doch, wenn es dunkel wird.

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Axomonster
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Re: rocketgirl

Beitragvon Axomonster » Di 8. Mai 2012, 13:50

Ach diesen Bericht liebe ich auch besonders!

Grüße von mir und dem einen Tag älterem Mädchen :wink2:
Schneeprinzessin 12/11 HG ungeplant UC
Goldjunge 01/14 HG mit Hebamme
Weihnachtswunder erwatet 12/18

yipsi

Re: rocketgirl

Beitragvon yipsi » Di 8. Mai 2012, 15:25

Ein wahnsinnig schöner Bericht, ich kann Dir richtig nachfühlen, was für eine traumhaft schöne Geburt Du hattest :flagge:
Alles gute Deiner kleinen Familie, und vielleicht interpretiere ich Deinen letzten Satz "Und die Reise beginnt von vorn" richtig, dass noch mehr Nachwuchs geplant ist?
Die Bilder strahlen soviel Wärme und Harmonie aus :wolke:

strophenlilly
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Re: rocketgirl

Beitragvon strophenlilly » Di 8. Mai 2012, 17:57

Alles gute Deiner kleinen Familie, und vielleicht interpretiere ich Deinen letzten Satz "Und die Reise beginnt von vorn" richtig, dass noch mehr Nachwuchs geplant ist?
Ich meinte damit zwar erstmal, dass die "Kind-wächst-auf-und-stürzt-Eltern-ins-Abenteuer"-Reise, aber ein drittes (erstmal ;-) ) Kind ist trotzdem fest gewollt!


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