Erratener Termin war der 30. Januar, ein Mittwoch. Sonntags vorher waren wir auf zwei Geburtstagsfeiern eingeladen, abends zu Hause bekam ich dann die ersten Wehen. Zwei Stunden lang, durchaus regelmäßig, pünktlich um elf zur Schlafenszeit waren sie wieder weg.
Bis zum erratenen Termin passierte dann nichts mehr, der Bauch zog hin und wieder, rutschte tiefer. Ich beschloss, meinen Bauch so lange zu ignorieren, bis die Taktik nicht mehr aufgehen würde, alles andere konnte ich mit meiner Ungeduld nicht vereinbaren. Als Selbständige arbeitete ich weiter munter vor mich hin, mein Laden war zu den Geschäftszeiten auf und die Augen meiner Kunden wurden immer größer als auf die Frage, wann es denn soweit sei, meine Antwort gestern, vorgestern, am 30. ... lautete.
Ich verabredete mich auch weiterhin mit Freunden, absagen hätte ich im Ernstfall immer gekonnt, musste es aber nie. Für den 2. Februar war ich mit einer Stallfreundin verabredet, die zu der Zeit ein kaputtes Knie hatte. Wir wollten einen Ausflug zu unseren Ponys machen, Langnasen streicheln und Stallklatsch konsumieren. Abends vorher dachte ich, dass aus dieser Verabredung nichts wird, da wieder regelmäßige Wehen da waren, zur Schlafenszeit aber wieder - genau... weg. Stattdessen bekam ich eine fette Erkältung mit Husten (sehr witzig mit dickem Bauch), Halsschmerzen und Ohrenschmerzen. Ich zog mit meiner Erkältung zum Übernachten für einige Nächte aufs Sofa und jammerte meiner Hebamme die Ohren voll, dass ich so unmöglich ein Kind bekommen könnte. Sie meinte daraufhin sehr gelassen, dass ich erstmal die Bazillen loswerden sollte, dann könne sich mein Körper um die nächste Baustelle kümmern. Recht hatte sie, ich hatte keine eine Wehe.
Am 9. Februar, wieder ein Samstag, musste ich morgens mit meiner Rest-Erkältung so doof husten, dass ich mir auf der rechten Seite im Brustkorb einen Nerv eingeklemmt haben muss. Also schlich ich stöhnend in meinen Laden, Kunden beraten. Jedem neuen Kunden sagte ich, dass mein schwerer Atem nichts mit Wehen zu tun habe, sondern mit meiner Rippe, was alle erleichtert hinnahmen. Zu meiner wehen Rippe kamen im Laufe des Vormittags Wehen, sehr leicht zwar, aber Wehen. Ich war für diesen Tag mit meiner Hebamme verabredet und bat sie, nachzusehen, ob sich am Muttermund was täte, da die Wehen dieses Mal nicht aufhörten, wie sonst immer. 1 cm Muttermund gegen 15 Uhr. C. (die Hebamme) verließ uns wieder, nachdem sie mich und meinen Mann mit Instruktionen versehen hatte, bei welchen Wehenabständen wir uns melden sollten.
Ich wehte den Nachmittag und Abend also durch unsere Wohnung, landete irgendwann im Schlafzimmer und vertönte die ersten Wehen auf aaaaa. Ich hatte schnell bemerkt, dass sie für mich leichter zu handhaben waren, wenn ich tönte, was meinen Kater dazu brachte, bei meinem aaaaa laut zu miauen. Er folgte mir überall hin und miaute mit mir, es muss ein sehr merkwürdiges Bild gewesen sein. Gegen 23 Uhr rief mein Mann auf meine Bitte hin dann die Hebamme an, die einige Zeit später mit einem "Das klingt ja schon gut hier" ihre Utensilien in den Flur schleppte und später auf meine Bitte hin noch mal nach meinem Muttermund sah. 3 cm, was ich mit "na toll, vier Stunden gejodel für 2 cm" beantwortete. C. beschloss, da mittlerweile Eisregen fiel, dazubleiben und nicht (wie sie es sonst getan hätte) wieder nach Hause zu fahren und machte es sich auf unserem Sofa gemütlich; ich ging in die Badewanne und wehte mich weiter durch die Nacht. Mein Mann blieb bei mir im Bad, ließ dann und wann heißes Wasser nachlaufen, legte mir ein Handtuch auf den Bauch, nahm es bei jeder Wehe runter, weil ich es da nicht ertragen konnte, brachte mir Getränke, half mir aus der Wanne und wieder rein, hörte sich mein oooooo an (das fand ich irgendwann besser als aaaaa) und bewies Nerven. Meine Wehen waren deutlich, Abstände weiß ich nicht, und gut auszuhalten. Irgendwann gegen vier oder fünf stand C. dann in der Badezimmertür und fragte mich, wie denn der Stand sei. Ich bat sie, nachzusehen, stieg irgendwie aus der Wanne und siedelte ins Schlafzimmer über. 7 cm.
Ich blieb im Bett liegen, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite. C. blieb bei mir, tönte mit mir und so vergingen weitere Stunden. Aus meinem aaaa wurde zeitweise ein auauauaua, einige Wehen waren jetzt fies. Von schmerzhaft kann ich aber immer noch nicht sprechen. Mein Mann ruhte sich einige Zeit auf dem Sofa aus, kochte irgendwann Kaffee für C. und für meinen Damm und bereitete mit C. das Schlafzimmer als Geburtsort vor, stellte den Hocker hin, einen Stuhl, diverse Utensilien. Gegen 10 waren dann die drei letzten cm Eröffnung geschafft bis auf eine kleine Muttermundslippe. An der musste meine Kleine vorbei, C. hielt für drei oder vier Presswehen diese Lippe beiseite. Das war der schmerzhafteste Teil der Geburt und auch diese Schmerzen waren für mich sehr gut erträglich.
Unsere Tochter rutschte tiefer, millimeterweise. Stand für geschlagene zwei Stunden auf Beckenboden (wie es so schön heißt) und bewegte sich nur zehntelmillimeterweise vorwärts. Irgendwann hatte sie diese Hürde überwunden, ihr Kopf wurde erst gut fühlbar, irgendwann sichtbar. Ich wechselte vom Hocker (gefiel mir gar nicht) in den Vierfüßlerstand (war etwas besser), dann irgendwann kniete ich mit hochgelagertem Oberkörper vor unserem Bett (funktionierte auch nur bedingt) und dachte zwei Stunden lang, noch zwei Presswehen, dann ist die Maus da. Auf meine Frage, wie lange es noch dauern könnte, sagte C. trocken, dass sie bei diesem Kind keine Prognosen mehr abgebe.
Schlussendlich brachte ich meine Tochter in der bescheuertsten Position, die man zum Kinderkriegen einnehmen kann zur Welt, auf dem Rücken im Bett liegend. Nach vier Stunden Arbeit war der Kopf geboren. C. sagte zu mir, dass sich die Kleine drehen müsse, was M. tat und eine Wehe später war sie endlich da. 13:52. (54 cm lang, 3140 g schwer, KU 35 cm, das ergab die U1 nach einer guten Stunde.)
Ich war stolz und glücklich, sie endlich auf die Welt gebracht zu haben, in unserem (vor allem ihrem) Tempo und schmerzarm. Es war absolut überwältigend, sie endlich im Arm zu halten. Mein Mann saß hinter mit, als M. geboren wurde und sagte lange Zeit gar nichts.
M. war hörbar empört, dass sie aus ihrem 5-Sterne-Hotel ausziehen musste und brüllte eine gute Weile. Sie hatte beinahe ledrige Haut und war im Begriff, sich das erste Mal zu pellen. Ihr Fruchtwasser war braun, was darauf hindeutet, dass sie irgendwann mal dorthinein gekackt haben musste, allerdings nicht während der Geburt.
Ich würde jetzt gern schreiben, dass die Plazenta irgendwann kam, aber so war es leider nicht. Stattdessen verlor ich so viel Blut, dass es mir unheimlich wurde und hatte keine eine Nachwehe, so dass wir 1,5 Stunden nach der Geburt den Rettungswagen riefen und die Plazenta im Krankenhaus per OP geholt wurde. Wir waren also von Sonntag Spätnachmittag bis Dienstag Mittag im Krankenhaus und mussten uns den Mund fusselig reden, dass die Ärzte dort keinen Blödsinn anstellen konnten, weder mit mir noch mit unserer Tochter. Die war nämlich in den Augen der Ärzte totsterbenskrank, da dehydriert (was so nicht stimmt, sie hatte lediglich trockene Haut) und ein dringender Fall für den Tropf. Andererseits hielt es niemand für nötig, mir zu zeigen, wie das Stillen funktioniert; es kam eine lakonische Bemerkung, dass das mit meinen Brüsten nicht funktioniere, ich aber gern Stilltee und Stillhütchen haben könne. Meine Hebamme gab mir dann zum Glück die nötige Hilfestellung und auch den Tip, bei meiner eigenen Abschluss-Untersuchung im Krankenhaus eine vaginale Untersuchung zu verweigern. Ich bin ganz ohne diese Untersuchung nach Hause gegangen, auf eigene Verantwortung. Würde ich diese zweieinhalb Tage Krankenhaus en detail schildern wollen, wäre es einen eigenen Roman wert, aber das spare ich mir an dieser Stelle. Nur so viel: M. stillt wie eine Weltmeisterin und darüber bin ich sehr froh. Ebenso über die Hausgeburt, da ich nun weiß, dass ein Krankenhaus definitiv kein Ort zum Kinderkriegen ist, es sei denn, das Kind benötigt direkt nach der Geburt lebenswichtige medizinische Hilfe.
Dazu habe ich außerdem beschlossen, dass nicht nur das nächste Kind, sondern auch die nächste Plazenta zu Hause kommt, gern wieder mit C.s Unterstützung.